Der demografische Wandel verändert den Tourismus grundlegend. Immer mehr Menschen mit altersbedingten oder dauerhaften Einschränkungen reisen aktiv und selbstbestimmt – stellen jedoch hohe Anforderungen an Komfort, Sicherheit und Barrierefreiheit. Das vorliegende Forschungsprojekt zeigt: Die Kombination aus inklusiven Angeboten und digitalen Serviceketten bietet für Destinationen, Betriebe und Regionen ein erhebliches Zukunftspotenzial.
Laut Eurostat (Datenauszug April 2021) entfiel auf TouristInnen ab 65 Jahren bereits fast jede vierte Übernachtung von EU-BürgerInnen zu privaten Zwecken (siehe nachstehende Abbildung) (Eurostat, 2021). Im Jahr 2022 waren zudem mehr als ein Fünftel (21,1 %) der EU-Bevölkerung 65 Jahre oder älter (Eurostat, 2023). Der Anteil der über 80-Jährigen dürfte sich bis 2080 sogar verdoppeln. Diese demografische Entwicklung ist für Destinationen besonders relevant, da ältere Reisende eine höhere Loyalität aufweisen: Laut Pechlaner et al. (2009) lassen sich vor allem ältere Generationen leichter zu Wiederbesuchen motivieren als jüngere Gästesegmente.
Trotz pandemiebedingter Rückgänge im Reiseverhalten (minus 27,9 %; Eurostat, 2022) bleibt die Zielgruppe der SeniorInnen aus tourismuswirtschaftlicher Perspektive hochattraktiv. Sie verfügt über hohe Loyalitätswerte, zeigt jedoch zugleich zunehmende Einschränkungen und benötigt daher verstärkt inklusive Maßnahmen. Gleichzeitig bietet sie erhebliche wirtschaftliche Chancen: SeniorInnen reisen häufiger außerhalb der Hauptsaison, reduzieren dadurch die Saisonalität und sind generell zu längeren Aufenthalten bereit (Otoo & Kim, 2020).
Abbildung: Reisepräferenzen von EU-BürgerInnen bezogen auf verschiedene Altersgruppen (Quelle: Eurostat, 2021)
Die Gruppe der SeniorInnen mit altersbedingten Einschränkungen – die ebenso wie Menschen mit Behinderungen deutlich von inklusiven Angeboten und barrierefreien Serviceketten profitieren (Pechlaner et al., 2009) – wächst kontinuierlich und zählt schon heute zu den zentralen Anspruchsgruppen im Tourismus. Europäische Großstudien zeigen, dass inklusive Tourismusangebote innerhalb der EU bis 2020 ein Marktpotenzial von rund 860 Millionen Reisen erreichen konnten.
Mit steigender Lebenserwartung und dem Wunsch, auch im Alter aktiv zu bleiben, gewinnen moderne und digitale Angebotsentwicklungen weiter an Bedeutung. Gleichzeitig wächst der Anspruch auf barrierefreie und einfach zugängliche Informationsservices – insbesondere in Form mobiler, webbasierter Anwendungen, die Planung, Orientierung und Selbstständigkeit unterstützen.
In der geplanten Studie wurden folgende Fragestellungen behandelt:
- Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich durch die Veränderung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen (z.B. Altersstruktur) für den (Inklusiven) Tourismus und die nachhaltige Entwicklung von Regionen?
- Wie wird Inklusiver Tourismus von den unterschiedlichen Interessensgruppen wahrgenommen?
- Wie können Lücken in bestehenden inklusiven Serviceketten durch die Hilfe von digitalen Angeboten geschlossen werden?
Projektinfos
Ziel des Projekts
Das Forschungsprojekt zielte im Sinne des aktuellen Paradigmenwechsels durch das Soziale Modell von Behinderung auf jene Stellen in der touristischen Umwelt ab, wo Behinderung entsteht oder zur Herausforderung für AnbieterInnen wird. Inklusiver Tourismus berücksichtigt nicht nur verschiedene nationale sowie internationale gesetzliche Verpflichtungen, sondern auch diverse Zielgruppensegmente (z.B. SeniorInnen, Menschen mit Behinderung). Das Projekt fokussierte sich auf die Identifizierung von Chancen und Herausforderungen von Inklusion für die Tourismuswirtschaft und auf das Schließen von Lücken in inklusiven Serviceketten durch digitale Angebote.
Projektablauf
Vorgehensweise
- Literaturanalyse zur Identifizierung der Chancen und Herausforderungen von Inklusion für die Tourismuswirtschaft.
- Qualitativ: Erhebung der Wahrnehmung zum Inklusiven Tourismus mittels Fokusgruppen gemeinsam mit Mitgliedern des ÖZIV Tirol bzw. mit vernetzten Behinderten- und Seniorenorganisationen.
- Quantitativ: Aufbauend auf die qualitative Erhebung erfolgt eine quantitative Erhebung mittels einer Fragebogenstudie zur Festigung der Ergebnisse.
- Conclusio: Ableitung von Handlungsempfehlungen und konkreten Implikationen gemeinsam mit dem TVB Mayrhofen-Hippach, dem ÖZIV Tirol und der RegioL.
Wissenstransfer
Ergebnisse aus der Studie
Inklusiver und barrierefreier Tourismus
- Die ältere Bevölkerung wächst und wünscht sich mehr Komfort, Selbstbestimmung und soziale Teilhabe beim Reisen.
- Barrierefreiheit umfasst nicht nur bauliche, sondern auch soziale, kommunikative und emotionale Aspekte.
- Fehlende Standards, digitale Hürden, Fachkräftemangel und hohe Kosten erschweren eine vollständig inklusive Umsetzung.
- Angebote nach dem Prinzip „Design für alle“, geschultes Personal und positive Begegnungen können die Teilhabe deutlich verbessern.
Selbst- und Fremdwahrnehmung
- Menschen mit Behinderungen sehen sich selbst als kompetente und selbstständige Reisende.
- Gesellschaft und Anbieter betrachten sie jedoch häufig als „besondere“ Zielgruppe, was sich in unvollständiger Barrierefreiheit und mangelnden Informationen zeigt.
- Dadurch entsteht eine deutliche Diskrepanz zwischen dem Selbstbild der Betroffenen und der realen Reiseumwelt.
- Eine differenzierte Unterstützung sowie neutrale und barrierefreie Informationen sind daher notwendig.
- Barrierefreie Angebote fördern Gleichberechtigung, Selbstvertrauen und soziale Integration.
Digitalisierung
- Digitale Planungshilfen wie Plattformen, Checklisten und barrierefreie Buchungssysteme reduzieren Unsicherheiten vor der Reise.
- Vor Ort erleichtern Apps, Navigationshilfen und Echtzeitinformationen die Orientierung und stärken die Autonomie.
- Eine klare Sprache, eindeutige Symbole und eine positive Darstellung verbessern die digitale Kommunikation.
- SeniorInnen sowie Studierende nutzen digitale Angebote bereitwillig, wenn sie intuitiv und zuverlässig gestaltet sind.
- Unterschiedliche Bedürfnisse, fehlende Standards und technische Grenzen bleiben Herausforderungen.
- Zugleich bieten digitale Lösungen die Chance, Serviceketten zu verbessern, Kundenzufriedenheit zu steigern und neue Zielgruppen zu erreichen.
Der Endbericht zum Projekt kann unter diesem Link eingesehen werden!
Praxis
Ethnographische Begleitung des Vereins wheels4flying
Am 29.05.2024 durfte die Universität Innsbruck und die UMIT Tirol gemeinsam mit zwei Bachelorstudierenden, dem ÖZIV Tirol und dem TVB Mayrhofen-Hippach den Verein „wheels4flying“ bei vier Tandemflüge mit Menschen mit Einschränkungen begleiten. Das Motto von wheels4flying ist „Lass deine Träume fliegen“. Daher bietet der Verein Tandemflüge für Menschen mit Behinderungen oder Mobilitätseinschränkungen an. Nähere Informationen zum Verein finden Sie hier.
Bild -> Gruppenfoto der ethnographischen Begleitung (Quelle: KMU & Tourismus)
Video – Wheels4flying Tandemflug – Barrierefrei urlauben in Mayrhofen
Tiroler Tageszeitung „Europas erste Zipline für Rollstuhlfahrer“
Beitragsbild – Quelle: Envato Elements
Projektdetails
Fördergeber
Land Tirol – Tiroler Wissenschaftsförderung
Team
KMU & Tourismus – Universität Innsbruck
Alexander Plaikner
Johanna Sparber
Katharina Weiskopf
Barbara Weiskopf
UMIT Tirol


